Estland und ein Ringkampf mit einem Kuvasz

Nach meiner Besichtigung von Marienburg im Nordosten Lettlands, wollte ich noch am gleichen Tag über die Grenze nach Estland fahren.

In die Zukunft sehen, geht ja nur bedingt, so dass ich nicht erahnte, was für ein Drama sich an diesem Abend des 19. Augusts noch abspielen würde.

Ich hatte vorher mit der Camper-App „Park4Night“ einen Stellplatz gefunden, nicht weit von der lettisch-estnischen Grenze, sehr nah an Russland. Bei dem Stellplatz handelte es sich um einen einsam gelegenen Bauernhof. Der Besitzer bot einige Stellplätze für Wohnmobile mit Strom und Wasserversorgung an, ganz in der Nähe der Burgruine Neuhausen.

Am frühen Abend traf ich dort ein. Es sah idyllisch aus. Ein Wohnhaus an einem See und 2 Schuppen, alles sehr gepflegt. Ich stellte den Motor ab und stieg aus. Ich wollte zum Wohnhaus hinüber und klingeln, als ich einen großen weißen Hund ohne Leine bemerkte.

Reiseblog - Estland - Kuvasz
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Es war ein Kuvasz, ein ungarischer Hütehund. Die Rüden dieser Rasse werden bis zu 65 kg schwer, die Weibchen bis 50 kg. Ich konnte nicht sehen, was für ein Geschlecht er hatte, aber ich schätzte sein Gewicht auf mindestens 50 kg, ein beeindruckend kräftiges Tier. Ich nenne ihn im Weiteren Wuwatsch (weißer Kuvasz).

 

 

Beim Hinübergehen zur Haustür kam Wuwatsch langsam auf mich zu. Der Hund wirkte gelassen und auf keinen Fall aggressiv. Er schnupperte kurz an meinem ausgestreckten Handrücken und ließ sich dann im Nacken kraulen.

Ich klingelte an der Haustür. Einmal…, zweimal… und dann lange. Kein Lebesszeichen. Die Besitzer schienen weggefahren zu sein und ließen wohl zum Schutz ihres Grundstücks den Kuvasz frei laufen.

Lotte war draußen, aber in der Nähe des Wohnmobils geblieben. Als Wuwatsch sie bemerkte ging er langsam los Richtung Lotte. Ich befahl Lotte  aus der Ferne, in das Womo zu springen, was bei ihrer Starrköpfigkeit eine Chance von 50 % oder weniger war. Der Kuvasz nahm langsam Fahrt auf Richtung Lotte und ich hinterher.

Lotte war immer noch draußen, aber in der Nähe der geöffneten Seitentür. Der Kuvasz fing langsam an zu Knurren und beschleunigte nochmal. Ich schrie nach Lotte, die jetzt endlich hörte sie und sprang hinein, kurz bevor der knurrende Hütehund sie erreichen konnte. Er wog das zehnfache von Lotte und hätte sie vermutlich mit einem Biss töten können.

Ich erreichte das Womo und lehnte die Tür an. Lotte war in Sicherheit, Wuwatsch beruhigte sich und folgte mir zurück zur Haustür, wo ich noch einen Klingelversuch, leider vergeblich unternahm.

Der Hütehund stand neben mir an der Haustür. Auf einmal drehte er sich langsam um und fing an, auf ein geschlossenes Gatter an einem gegenüberliegenden Schuppen zuzulaufen. Er knurrte wieder. Ich ging hinter ihm her und ahnte schon, was der Anlass des Knurrens war.

Lotte muss unbemerkt in wenigen Augenblicken, als Wuwatsch und ich weg gingen, die Tür vom Womo aufgestoßen haben und rausgesprungen sein. Sie saß hinter dem Gatter im Schuppen und war durch die Türsprossen zu sehen. Sie bellte von innen panisch den Kuvasz an. Und der stand direkt vor dem Gatter und knurrte immer heftiger.

Jetzt bekam ich auch langsam Panik. Wie sollte ich den Kuvasz, der kein Halsband trug da weg bekommen, ohne mich wirklich entfernen zu können? Wenn Lotte aus Panik versucht hätte unter dem Gatter durchzuschlüpfen, musste ich den Anderen irgendwie von ihr fernhalten.

Ich packte Wuwatsch im Genick und versuchte ihn langsam von der Tür hinüber zum Haupthaus zu ziehen. Aber meine panische Idee ging nicht ganz auf…

Als wir uns einige Meter entfernt hatten, krabbelte Lotte unter der Tür durch und fing geduckt, wie eine Katze an, Richtung Wohnmobil zu schleichen. Leider viel zu langsam. Und dann ging alles sehr schnell.

Wuwatsch riss sich los und sprintete Lotte hinterher, die immer noch langsam schlich. Nach wenigen Sätzen war der Hütehund über ihr und packte zu. Ich war direkt dahinter und konnte gar nichts anderes machen, als mich auf den Kuvasz zu werden. Er ließ von Lotte ab, die panisch weglief. Ich konnte nicht sehen, wohin. Hoffentlich in ihre Sicherheitszone, das Wohnmobil.

Nun lag ich auf Wuwatsch und nahm seinen Kopf mit meinem rechten Arm in den Schwitzkasten, wie beim Judo. Da klingt jetzt alles sehr lustig, aber ich hatte tatsächlich Todesangst. Ohne ein Werkzeug oder einen kräftigen Stock in Reichweite, war ich dem Kuvasz ausgeliefert. Wenn er mir den Krieg erklärt hätte und genug Zeit gehabt hätte, hätte man mich wahrscheinlich in einzelnen Stücke verteilt auf dem Grundstück auflesen müssen.

Nun lag ich da, mittlerweile auf dem Rücken, Wuwatssch auf mir im Schwitzkasten und ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Der Hund war so kräftig, dass er sich beinahe aus meinem extrem zugezogenen Ellenbogen befreien konnte. Und ihr könnt mit glauben: Wenn ich als  Junge im Judoverein  meinen Gegner erstmal im Schwitzkasten hatte, daraus befreite sich niemand.

Da lagen wir nun auf der Erde und die Sekunden kamen mir wie eine Ewigkeit vor. Ich konnte langsam wieder, aber immer noch leicht panisch, denken. Ich überlegte, was für ein Werkzeug mir noch zur Verfügung stand und sah irgendwann ein, dass mir nur noch mein linker Arm zur Verfügung stand, welcher um den Oberkörper von Wuwatsch gewickelt war. Den rechten Arm um den Hals des Hundes, wollte ich auf keinen Fall lösen.

Ich entschloss mich, zu versuchen mit der linken Hand die Schnauze von Wuwatsch zuzudrücken. Er wehrte sich mit wahnsinnigen Kräften und ich merkte, wie meine Kräfte langsam schwanden. Der Druck um den Hals ließ nach. Aber ich schaffte es, mit der anderen Hand die Schnauze zu erwischen und zuzudrücken. Und jetzt war ich einigermaßen sicher, aber mit dem Latein am Ende, aber am äußersten Ende. Ich konnte nichts machen, als so liegen zu bleiben, Wuwatsch zappelnd auf mir und auf Hilfe hoffen.

Und dann geschah nach einer Minute oder auch fünf, mein Zeitgefühl war völlig weg, ein kleines Wunder: Wuwatsch gab auf. Er erschlaffte in meinem Klammergriff. Man merkte, wie sein ganzer Körper erschlaffte. Aber dennoch war ich nicht außer Gefahr. Wie würde er reagieren, wenn ich ihn los ließe? Würde er mich angehen?

Wieder nach einigen Augenblicken entschloss ich mich, ihn freizulassen. Ich konnte ja auch nicht hier auf dem Boden liegen und warten, bis die Besitzer von ihrer Südamerikakreuzfahrt zurück waren. Ich rollte uns zur Seite, stieß Wuwatsch von mir und sprang auf. Einen Schritt rückwärts und geduckter Haltung zum Hund gedreht. Ich erwartete einen Angriff. Nichts passierte. Wuwatsch kam auf die Beine und wirkte stark irritiert. Er schüttelte sich ausgiebig und trottete dann weg Richtung Haupthaus. Ich nahm meine Beine in die Hand Richtung Wohnmobil, falls es sich Wuwatsch anders überlegen sollte.

Ich schmiss von innen die Tür zu und suchte erstmal Lotte. Sie hatte sich, wie sie das immer nach traumatisierenden Erfahrungen machte, in ihrem Babybettchen auf dem Beifahrersitz verkrochen. Ich tastete sie oberflächlich ab, konnte aber zunächst keine größere Verletzung feststellen.

Immer noch mit stark erhöhtem Puls und leicht panisch startete ich den Motor und verließ das Grundstück. Auf der Hauptstraße angekommen stoppte ich und suchte mit der CamperApp einen anderen Platz zum Übernachten, es war schon spät am Nahmittag. Ich fand ganz in der Nähe einen. Und wie ich dort die beiden hilfsbereiten Marika und Joel kennen lernte und es mit Lotte weiter ging, kommt demnächst…

Im nächsten Artikel gibt es wieder mehr Fotos.

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