28.11.2019
Eine kleine Geschichte von einer traurigen Postkarte vom Soldatenfriedhof „Bourdon“.
Ich bin letzten Sonntag nach einer kurzen Pause aus Düsseldorf Richtung Belgien wieder losgefahren. Kurz vor Brüssel habe ich eine Nacht am Waldrand verbracht und bin Montag Morgen in die Stadt gefahren, um mir das Europaviertel anzusehen.
Normalerweise fahre ich in solche großen Städte nicht mit meinem Camper hinein; es ist zu gefährlich und es gibt kaum Möglichkeiten zum Parken; das habe ich aber schön des Öfteren im Reiseblog erwähnt. Aber es stellte sich als sehr entspannt heraus: Ein Parkplatz direkt am Europaviertel und das Fahren war vom Verkehrsaufkommen auch angenehm. Ich wanderte zu Fuß 2 Stunden durch das „Europaviertel“ und brach danach auf Richtung französische Grenze und Normandie.
Ich weiß noch nicht, ob ich über Brüssel im Reiseblog schreiben werde. Außer dem Europaviertel fand ich es nicht sehr spannend hier.
Kurz hinter der belgisch-französischen Grenze fuhr ich an einigen Mahnmalen des ersten Weltkrieges vorüber. Per Zufall kam ich am Mahnmal „Thiepval“ vorbei, hielt an und schaute es mir an.
Das Mahnmal wurde zu Ehren britischer und südafrikanischer Soldaten errichtet, welche in der Schlacht an der Somme im ersten Weltkrieg gefallen waren.
In dieser Schlacht, welche vom 1. Juli bis zum 18. November 1916 ging, fielen 1 Million Soldaten, wurden verwundet oder vermisst. Sie war die verlustreichste Schlacht des „großen Krieges“. Eine schier unglaublich Zahl an Menschenopfern: Geschätzte 10 Millionen Soldaten fielen insgesamt im ersten Weltkrieg und circa 20 Millionen wurden verwundet und traumatisiert.
Heute kaum vorstellbar wie damals, als Soldat in eine solche Schlacht geschickt zu werden, in dem Wissen, es wahrscheinlich nicht zu überleben. Ein Totgeweihter zu sein…
Das klingt jetzt etwas melodramatisch. Aber wenn man hier auf dem Soldatenfriedhof steht, kaum Geräusche wahr nimmt und das Wetter grau und düster ist, dann drückt die ganze Szene auf die Stimmung in der Seele.
Vielleicht denken jetzt einige Leser, das gehöre nicht in einen Reiseblog. Ich denke sehr wohl, dass es in den Reiseblog gehört, wenn man auf der Reise so damit konfrontiert wird. Wer soll diese Orte besuchen, wenn nicht ich als vorüber fahrender Camper?
Ich gehöre zu der Generation, deren Väter, wenn auch nur kurz, im zweiten Weltkrieg kämpfen mussten.
Als ich ein kleiner Junge war, lebten noch viele der Veteranen. Aber sie redeten nie oder sehr selten über ihre Erlebnisse im zweiten Weltkrieg. Das einzige was ich immer zu hören bekam: Wenn ich mal etwas nicht essen wollte als Kind, kam oft die Ermahnung: Damals im Krieg, da hatten wir nichts zu „Fressen“. Wir wären froh gewesen…
Pädagogisch wertvoll.
Es gab aber eine Ausnahme: Ich lernte irgendwann einen über 90 jährigen Veteranen kennen, der immer noch lebenslustiger war, als viele halb so alte Zeitgenossen.
Er war „Fahnenjunker“ im zweiten Weltkrieg und kämpfte an der Ostfront. Als er seine Erlebnisse schilderte, schien es ihm, als ob das erst gestern passiert sei und Tränen liefen ihm bei den Erinnerungen über das Gesicht.
Aber jetzt zur Postkarte: Von Thiepval fuhr ich weiter Richtung Südwesten und kam unmittelbar am deutschen Soldatenfriedhof „Bourdon“ vorüber. Der Parkplatz war leer, ich war dort allein.
Ich ging zunächst über den gepflegten Friedhof. Es war kühl, bewölkt und die Bäume auf dem Friedhof hatten nur noch wenige Blätter, Laub lag zwischen den Grabsteinen. Das Wetter trug wieder zu einer bedrückten Stimmung bei.
An wenigen Gräbern stehen zum Teil verwelkte Blumen, was bedeutet, dass sich immer noch Menschen auf den Weg hierher machen um ihre gefallenen Angehörigen zu besuchen, nach so langer Zeit.
Auf dem Soldatenfriedhof „Bourdon“ liegen 22.216 gefallene deutsche Soldaten des Zweiten Weltkrieges. Viele sind unbekannt. Die meisten der Gefallenen wurden nicht älter als 25 Jahre.
Nach einer halben Stunde auf dem Friedhof ging ich in die Krypta. Dort steht eine übergroße Madonna aus Marmor. Zu ihren Füßen steht ein leerer Kandelaber und ein Kranz. Der Raum ist sonst leer und schmucklos.
Als ich näher heran ging, entdeckte ich eine Postkarte, beschriftet mit „Grüße aus Moritzburg“. Ich drehte die Karte herum und las den Text:
„An Georg Zieschang
*08.12.1908
+30.05.1940
Block 22
Reihe 5
Grab 160
Zitat:
„17.09.2014
Lieber Vater,
jetzt bin ich 78 Jahre alt und weiß nicht, ob ich nochmal an deinem Grab stehen werde. Aber deine Enkel Tilo und Nina, die du leider nicht kennen lernen durftest (sie sind jetzt älter, als du es geworden bist), werden dich weiterhin besuchen kommen.
Deine Helga“
Wie traurig.
Ich habe gestern Abend versucht, Helga in Moritzburg ausfindig zu machen, um ihr zu sagen, dass die Karte angekommen ist und in der Krypta die Zeit überstanden hat. Ich konnte zwei Teilnehmer mit dem gleichen Familiennamen in Moritzburg angerufen und nach Helga gefragt. Leider erfolglos.
Wenn sie noch lebt, erfährt sie vielleicht durch den Reiseblog von der Postkarte…